Denken und Sprache

Denken und Sprache

Gedanken, Gefühle und Erinnerungen, die Gestalt annehmen im Raum des Bewusstseins als innere Bilder, wie der Hirnforscher Antonio Damasio das formuliert, sind keine Bilder im üblichen Sinn, sondern komplexe und beständig sich wandelnde Muster, geschrieben im Code des zentralen Nervensystems, der allen Menschen gemeinsam ist. Trotzdem ist die subjektive Bedeutung dieser inneren Bilder aus der persönlichen Lebensgeschichte des einzelnen Menschen gewachsen, und sie ist auch nur durch ihn selbst in der Innenschau wahrnehmbar.

Für einen Beobachter sind meine geistigen Aktivitäten nicht einsehbar, nur ein Stück weit erkennbar über Spuren im Körper, über bestimmte Bewegungen oder Laute, über die Augen oder meinen Gesichtsausdruck. So wie heute in der digitalen Kommunikation Emojis verwendet werden, um die fehlende sinnliche Wahrnehmung ein Stück weit zu ersetzen.


Mein Tagebuch

Seit Jahren schreibe ich auf, was mich beschäftigt – meistens am Morgen beim ersten Kaffee, im Nachklang der nächtlichen Traumbilder. Dabei bemühe ich mich darum, meine Gedanken und Gefühle möglichst genau so wieder zu geben, wie ich sie in mir wahrnehme.
Das ist, als würde ich an mich selbst schreiben und als Antwort neue Gedanken erhalten, die ich dann wieder aufschreiben kann.

Durch den inneren Widerhall des Geschriebenen fließen meine Gedanken weiter, befreien sich aus den Kreisen, in denen sie sich bei inneren Selbstgesprächen leicht verfangen. So kann ich bewusst durchleben, was in meinem Kopf vor sich geht und dabei im Geist ein Stück weitergehen, hinter mir lassen, was vorher war.
Nur sehr selten lese ich den einen oder anderen Abschnitt wieder.

Dabei schreibe ich nur für mich selbst, unbeeinflusst von der Reaktion eines anderen und
nenne das: Die Worte – meine eigenen Worte – zum Leben erwecken.
Damit ich mich ganz darauf konzentrieren kann, die Begriffe und Sätze in Resonanz zu bringen mit dem, was gerade in meinem Bewusstsein auftaucht. Das ist wie ein Hineinhören in mich selbst, an dem auch der Körper beteiligt ist, bis dann der passende sprachliche Ausdruck gefunden ist.
Für andere ist dieser Dialog mit mir selbst nur teilweise nachvollziehbar, weil sie die inneren Zusammenhänge meines Gedankenflusses nicht kennen.

Gespräche erlebe ich oft so, als würden die Worte des anderen in mich eindringen. Mit ihrem Klang, ihrem Inhalt und den mitschwingenden Gefühlen lösen sie in mir Empfindungen aus und Bilder, die sich mit eigenen Assoziationen und Empfindungen mischen. So als würde ich hineingezogen in die Vorstellungswelt des anderen und dort ein Stück weit mich selbst verlieren.
Dabei hängt es vom Gesprächspartner ab, ob ich noch authentisch zum Ausdruck bringen kann, was mich bewegt. Am besten gelingt das, wenn beide einander aktiv zugewandt sind.

Durch die Erfahrung des Schreibens wird mir bewusst, dass die „Übersetzung“ der eigenen Gedanken in Sprache niemals vollständig gelingen kann – schon allein deshalb nicht, weil sich die Gedanken bereits durch die Bemühung um sprachlichen Ausdruck verändern

Mir erscheint es immer wieder als kleines Wunder, dass es überhaupt gelingt, mich über Sprache verständlich zu machen. Das gilt nicht so sehr für Informationen, die leicht überprüft werden können anhand der äußeren Realität, sondern vor allem bei der Übermittlung von Ideen, bei der Beschreibung von Erlebnissen, subjektiven Eindrücken oder persönlichen Anliegen.

Und doch ist alles, was ich gelernt und mir angeeignet habe, mit geprägt durch den Kontakt mit anderen Menschen, Vieles davon über die Sprache.


Die geistige Evolution des Menschen

Im Englischen gibt es den Begriff „mind“, der alle geistigen Prozesse umfasst, Gedanken, Gefühle und Absichten, Erinnerung, Meinung und Wille, Lust und Sorge, bewusst oder unbewusst. - Im Deutschen existiert dafür keine unmittelbare Entsprechung, da verliert sich die gemeinsame indogermanische Wurzel mit dem gotischen Wort für Gedächtnis und der mittelhochdeutschen Minne als liebendes Gedenken, sinnliches Begehren mit eingeschlossen, das dann als anstößig galt - worauf das Wort Minne durch Liebe ersetzt wurde.

In der Menschheitsgeschichte diente dieses sinnliche Begehren zunächst vor allem dem Überleben, der Suche nach Nahrung und nach Schutz vor Naturgewalten - zusammen mit der Neugier, die Welt zu erkunden, Zusammenhänge zu entdecken zwischen eigenen Erfahrungen und äußeren Einflüssen, und damit das eigene Leben zu sichern und zu erleichtern.

Daraus ist die subjektive Vorstellungswelt, der Kosmos der inneren Bilder, entstanden, so wie aus weißem und farbigem Licht, das auf die Netzhaut der Augen trifft, im Hirn Gestalten entstehen, die zwar kein direktes Abbild meiner Umgebung sind, mir aber erlauben, mich darin zu orientieren und zu bewegen.

Die ältesten Zeugnisse menschlichen Geistes sind Werkzeuge, die gezielt aus Steinen hergestellt und immer weiter verfeinert wurden. Daher kommt der Name der Steinzeit, die vor etwa 2,5 Millionen Jahren begann. Zugleich begannen die Menschen, das Feuer aus Blitzschlägen und Erdbränden zu zähmen und zu verwenden.

Um diese ersten Kulturtechniken zu bewahren und weiter zu entwickeln, mussten die frühen Menschen zusammenarbeiten und sich austauschen können. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die ersten Hinweise auf eine sprachliche Kommunikation aus dieser Epoche stammen. Wahrscheinlich waren das zunächst einfach Laute, wie wir sie als Ausdruck von Emotionen und aus der Tierwelt kennen, verbunden mit Gesten. Daraus entstanden vielleicht Gesänge - bis die Klänge sich auffächerten in Begriffe und Sätze wie wir sie heute kennen.

Die ersten Höhlenmalereien in Indonesien, Frankreich und Spanien als Darstellung innerer Bilder von Tieren und Tier-Mensch-Wesen sind etwa 40.000 Jahre alt. Zu dieser Zeit hatte sich schon der Homo sapiens, der „verstehende, verständige“ Mensch herausgebildet und begonnen, von Afrika aus den vorderen Orient, Europa, Asien und Australien zu besiedeln.
Die Sprachfähigkeit hatte sich weiter entwickelt, und es wird angenommen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits einige verschiedene Sprachen existierten.


Mit der Sprache entsteht zugleich eine innere Landkarte, die mit anderen geteilt werden kann. J.R.R. Tolkien, der Autor von „Herr der Ringe“ fügt seinen Büchern eine Landkarte bei von Mittelerde, einer Phantasiewelt, deren Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte er in seinen Büchern beschreibt. Er war Sprachwissenschaftler und beschäftigte sich unter anderem damit, Worte in bestehenden Sprachen und später dann ganze Sprachen neu zu erfinden, so auch Hochelbisch, das in Mittelerde gesprochen wurde. Wie er an eine Freundin schreibt, waren diese erfundenen Sprachen die raison d’etre, der Daseinsgrund für die ganze Mythologie.

Das mythische Denken ist dem unmittelbaren Erleben und den wundersamen Wesen der inneren Welt noch näher als das methodisch rationale, das sich später entwickelte. Mythen sind wie Geschichten, die während des Sprechens entstehen, wenn alle zusammen am Feuer sitzen. Sie beschreiben eine kosmische Ordnung, in der Menschen sich als eingebunden erleben, übermitteln durch Verhaltensweisen und Traditionen, die sich als nützlich herausgestellt haben, ein Gefühl von Gemeinschaft, nehmen die Angst vor dem Unbekannten. Sie wandeln sich mit dem wachsenden Wissen, während ihr Ursprung sich im Nebel der Zeit verliert

Aus solchen mythischen Erzählungen, die über Generationen mündlich weiter gegeben wurden, sind wohl später, beginnend vor 7000 Jahren mit der Erfindung der Schrift, die heiligen Schriften der großen Religionen entstanden. Parallel dazu hat sich aus den ersten Zählverfahren die Mathematik entwickelt, eine der ältesten Wissenschaften. Erste Zeugnisse dafür sind die exakt berechneten Formen der ägyptischen Pyramiden, die Berechnung der Himmelskörperbewegungen, die Messung der Zeit und die Aufstellung von Kalendern.

Auch die Wissenschaft kommt nicht ganz ohne Mythos aus, um Beobachtungen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Hier wird er Hypothese genannt oder Theorie und dient als Ausgangspunkt für neue Fragen, für neue Beobachtungen und Erkenntnisse, die von anderen nachvollzogen, in der Gemeinschaft diskutiert und geprüft werden können.


Das schöpferische Erbe

Ich erlaube mir jetzt die gleiche kindlich-magische Machtphantasie, wie sie zu finden ist in der Idee, dass von Menschen gemachte Maschinen wesentliche menschliche Fähigkeiten ersetzen oder gar überflügeln könnten. Nur möchte ich diesen Glauben nicht nach außen verlagern, weder zu den wissenschaftlich-technischen Errungenschaften noch zu einem Gott, der unsere Geschicke lenkt. Denn all das tragen wir in uns selbst, auch wenn es manchmal so erscheint, als würde es eingegeben von außen.

Damit bin ich bei der Intuition gelandet, die gerne als Bauchgefühl bezeichnet wird. Auch wenn sie im Körper wurzelt, wird diese Gabe damit weit unterschätzt.
Das Wort ist entlehnt aus dem Lateinischen und bedeutet ursprünglich „das Erscheinen des Bildes (im Spiegel)“. Der Psychiater C.G. Jung betrachtet die Intuition als eine der vier Grundfunktionen der bewussten menschlichen Psyche– neben (Sinnes-)Empfindung, Denken und Fühlen -, als Wahrnehmung aus dem Unbewussten, die blitzartig aufleuchtet. ein Gesamtbild vermittelt und ein Gefühl der Gewissheit verleiht.

Was mich hier vor allem interessiert, ist der schöpferische Aspekt der Intuition, der auf ein lebendiges größeres Ganzes hinweist, auf eine Wahrheit, die tiefer und zugleich höher beheimatet ist als das, was ich mit dem rationalen Denken erfassen kann.
Und mir erscheint es jetzt so, als wäre dieses schöpferische Prinzip präsent in jedem einzelnen Schritt von der Entstehung des Lebens über die Entwicklung der bewussten Wahrnehmungsfähigkeit bis zur Entfaltung von Denken und Sprache, die einander beflügeln zu einem mehr und mehr beschleunigten Wachstum von Wissen und technischen Fähigkeiten.

Intuition wird gerne verknüpft mit einem mystischen oder mythologischen Denken, dessen Ergebnis ich nur glauben kann, weil es sich der rationalen Erklärung entzieht. Dorthin können wir nicht mehr zurück, seit wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben und der Versuchung erlegen sind, die Welt nach unseren Vorstellungen neu zu gestalten. Der Gott, der uns erlösen könnte, wohnt jetzt in uns selbst.

Dabei sieht es so aus, als würde in unserem Unbewussten ein selbstverständlich wachsendes Wissen schlummern, das wir für unser gegenwärtiges Handeln erwecken können, indem wir uns der eigenen inneren Geschichte in ihrer Gesamtheit bewusst werden und daraus eine Erzählung schöpfen, die nicht mehr die vergangenen Mühen fortschreibt sondern deren Früchte erstrahlen lässt in neuem Licht.


Bild: Duftbild Sandelholz