Das Innere Kino

Das Innere Kino

Für die Selbst-Erfahrung und auch für die Kommunikation zwischen Menschen spielt „Awareness“, das Wahrnehmungsvermögen, eine zentrale Rolle. Wie der Gestalt-Therapeut John O. Stevens das in seinem Buch beschreibt, geht es dabei um drei Zonen der Wahrnehmung, aus denen im Bewusstsein eine Vorstellung von mir selbst und der Welt Gestalt annimmt.

Zuerst denke ich da an die Wahrnehmung der äußeren Welt, die Sinneseindrücke aus dem Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten, die mir in unterschiedlichem Maß bewusst werden.
Bei meinem Spaziergang am Fluss liebe ich es, das Rauschen des Wassers zu hören, die erfrischende Luft mit ihrem Duft nach Gras und Feuchtigkeit einzuatmen und meinen Blick auszudehnen in die Weite der Landschaft. Es dauert oft eine Weile, bis sich meine Gedanken beruhigen und ich ganz eintauchen kann in dieses Erleben.

Was dabei immer mitschwingt, ist die innere Wahrnehmung meines Körpers, der sich zunächst etwas steif anfühlt und dann zunehmend beweglicher wird. Das Gehen verläuft automatisch, das erledigt mein Körper von selbst, sobald ich mich dazu entschlossen habe. Oder ich kann dem nachspüren, wie die Füße mit dem Boden Kontakt aufnehmen, wie der Impuls des Auftretens sich durch die Wirbelsäule nach oben fortsetzt, je mehr sich mein Körper aufrichtet, und wie Spannungen sich nach und nach auflösen.

Da ich jetzt, beim Schreiben, im Zimmer am Laptop sitze, stammt diese Beschreibung offensichtlich nicht aus der Wahrnehmung meiner gegenwärtigen Realität, sondern aus der Wahrnehmung meiner Vorstellungswelt: der Erinnerung an den Spaziergang mit all den Gedanken, Gefühlen und Empfindungen, die damit verbunden waren oder die ich jetzt hinzugefügt habe. Und aus dem Bemühen, die inneren Bilder meines subjektiven Erlebens möglichst anschaulich mithilfe der Sprache nachvollziehbar werden zu lassen.

Welcher Ausschnitt aus diesen ineinander verwobenen Wahrnehmungswelten in mein Bewusstsein gelangt, hängt davon ab, worauf der Scheinwerfer meiner Aufmerksamkeit gerichtet ist.

Der gegenwärtigen Wirklichkeit kann ich nur über die äußeren und inneren Sinne begegnen, während sich in der subjektiven Vorstellungswelt das bunte Volk der Gedanken tummelt, die allesamt aus vergangenen Erlebnissen stammen oder aus Zukunftsphantasien.

Was ich wahrnehme, ist kein direktes Abbild der äußeren oder inneren Welt, es ist das Ergebnis eines Prozesses, aus dem über den internen Code des Nervensystems Körperempfindungen, Bilder und Klänge, Gedanken und Erinnerungen im Raum des Bewusstseins Gestalt annehmen, begleitet von Emotionen und Gefühlen. Das ist ein subjektives und individuelles Geschehen.

Gegenstände und Abläufe in der Außenwelt, die für alle wahrnehmbar sind, habe ich seit meiner Kindheit mit allen Sinnen erkundet und kann ihnen mit dem Erlernen der Sprache auch einen Namen geben oder sie beschreiben. Das bildet eine Grundlage dafür, dass ich mich darüber mit anderen verständigen kann.

Schwieriger wird es schon mit der inneren Wahrnehmung. Da kommen persönliche Reaktionen und Erfahrungen mit ins Spiel und ob ich gelernt habe, diesen Empfindungen nachzuspüren und ihnen Ausdruck zu verleihen.

Ja, und was die Gedanken, Erinnerungen und Phantasien betrifft, die aus all dem gewachsen sind, was ich gelernt, erlebt und erfahren habe: Da lebe ich zunächst ganz in meiner eigenen Welt, in die keiner wirklich hineinschauen kann. Und es wäre auch eine Illusion, davon auszugehen, dass die Vorstellungswelt eines anderen genauso aussieht wie meine.

Auch wenn ich mir darüber nicht ganz sicher sein kann: Eine Grundlage der Verständigung bildet die Erkenntnis, dass meine Vorstellungswelt einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgt und aus Wurzeln gewachsen ist, die allen Menschen gemeinsam sind. Dazu kommt das Mitgefühl als Fähigkeit, die Reaktionen des anderen nachzuvollziehen aufgrund der Erfahrungen in mir selbst.

Das sieht zunächst aus wie dünnes Eis. Doch wenn ich mir vor Augen führe, welche Errungenschaften durch das gemeinsame Wirken von Menschen ermöglicht wurden: Dieser Boden könnte schon tragen, wenn wir uns auf das besinnen, was unsere echten Bedürfnisse sind und was wir uns von Herzen wünschen.

siehe auch: Selbstheilungskräfte


Bild: Duftbild Muskatnuss