Trauma-Spuren

Trauma-Spuren

Das Muster des Schocks

ist mir zum ersten Mal in einem Buch von Reshad Feild, einem Sufi-Lehrer, begegnet. Es erschien mir seltsam vertraut und hat mich seither immer wieder beschäftigt. Ein Stück weit greifbar wurde es erst im Rahmen von Therapien und therapeutischen Ausbildungen.

Was ich nach der Trauma-Woche meiner Körpertherapie-Ausbildung notiert habe:

Ich durchlebte, wie verschmolzen zu einer Erfahrung, prägende schmerzhafte und bedrohliche Situationen aus meinem ganzen Leben noch einmal. Einzeln betrachtet waren es alte Bekannte, aber in dieser Dichte drohten mich die Bilder und Gefühle zu überwältigen. Die Teilnahme an den Übungen in der Gruppe war mir oft nicht möglich, weil der Kontakt zu Menschen unerträglich wurde. Jede Berührung, jeder Blick, die Stimmen der anderen beim Essen konnten Schmerz und Panik auslösen …

Mit großer Achtsamkeit gelang es mir manchmal, mich auf eine Wahrnehmungsebene einzuschwingen, wo mich dieser "Höllenlärm" nicht erreichte. Ich musste dazu mein Bewusstsein ganz in meinen Körper und vor allem in mein Becken einsinken lassen. Es war wie ein ursprüngliches, mehr instinkthaftes Dasein, in dem Gedanken und differenzierte Gefühle eine untergeordnete Rolle spielen. Auch den Kontakt zu anderen, der mir in diesem Zustand vereinzelt gelang, erlebte ich vorwiegend über den Körper, ohne dass dazu eine Berührung notwendig war.

In der folgenden Zeit machte ich lange Spaziergänge, um dem Tumult in mir durch Bewegung ein Ventil zu verschaffen. Dabei erlebte ich mit Erstaunen, dass mich fremde Menschen, die mir begegneten, wie eine alte Bekannte freundlich begrüßen. Meine inneren Gespräche und das Bemühen, meinen Boden wiederzufinden, haben mir offenbar eine besondere Art der Präsenz verliehen.

Dieses Erleben einer inneren Welt, mit der ich davor ganz alleine war, hat mich nicht losgelassen und mich dazu geführt, Erfahrungen, die dabei angeklungen sind, näher zu erkunden. Beim Familienstellen, in einer Gruppe, wo die beteiligten Personen von Stellvertretern dargestellt werden, oder im Inneren, in einer leichten Trance, konnte ich Ereignisse in meinem Leben und in meiner Familie ans Licht bringen, für die es konkrete Informationen als Anhaltspunkte gab.

Dabei ist als zentrales Thema das Bild eines sehr kleinen Mädchen aufgetaucht, das einige Wochen nach der Geburt von seiner Mutter getrennt wurde und bei den Großeltern lebte. Auch wenn der 2. Weltkrieg schon Jahre zurück lag, war die Familie noch belastet: Vom Tod meines Onkels, der in einer der letzten Schlachten nahe der österreichischen Grenze gefallen war und von der noch nicht bewältigten Trauer. Und wie es aussieht, habe ich besonders den Schmerz meines Großvaters übernommen, der noch immer seinen Sohn auf dem Schlachtfeld suchte. Der tote Onkel ist mir wie ein Engel erschienen, der als einziger für mich da war.

Zusammen mit Geschichten aus der Familie meines abwesenden Vaters hat sich das verwoben zu einem Grundmuster, das mein ganzes Leben durchzieht. Und das konnte offenbar auch die Liebe, die mir meine Mutter und meine Großmutter schenkten, nicht aufheben. Was sie mir mitgegeben haben, ist meine Lebensfreude und Widerstandskraft. So wie die Rosen auf ihrem Grab, die gerade in Pink und Rosa üppig erblüht sind.

Über das kleine Mädchen habe ich eine Geschichte geschrieben, als ich über Familienstellen und Traumatherapie noch nicht viel wusste. Und jetzt, beim Erzählen, hat sich diese Geschichte ein wenig verändert.

Das verzauberte Mädchen

Es war einmal ein ganz kleines Mädchen, das lebte allein in der Ecke eines Schuppens. Wenn ich sage, es lebte, so könnte das missverständlich sein, denn das Mädchen hatte eine sehr eigenwillige Art zu existieren. Am besten lässt sich das in einem Bild beschreiben: sie war wie eingesponnen in einen Kokon aus weißen Fäden, so wie der Hobbit Bilbo, der in den Wald der Riesenspinnen geriet. Auch wenn der Kokon nicht erkennbar war, sah sie doch etwas blass und durchsichtig aus. Außer einem Engel, der den Stall mit Licht versorgte und das dunkle Gesindel und die Spinnen vertrieb, hat keiner je das kleine Mädchen gesehen. 

Das Mädchen war nicht immer in diesem Stall gewesen, es hatte vorher in einem wunderschönen Garten mit glasklarer Luft, plätschernden Bächlein, bunten, duftenden Blumen und schillernden Schmetterlingen gelebt. Bis es in die Hände eines bösen Zauberers geriet und wohl hätte sterben müssen, wäre der Engel nicht bei ihr gewesen. Um ihr Leben zu retten, musste sie das Opfer bringen, sich zu teilen und mehrere Personen nach außen zu schicken, die all das erfüllten, was in der Welt so zu tun ist.

Wahrscheinlich hat der Engel das erwirkt, dass das Mädchen über unsichtbare Fäden an allem teilhaben konnte, was die äußeren Personen so erlebten. Und das war kein lahmer Verein, ganz und gar nicht, sie waren ein bunter Haufen, spiegelten etwas von der Buntheit der Welt, in der sie ursprünglich als eine Person gelebt hatten. Nur dass im tollsten, schönsten Moment immer wieder die Fäden spürbar wurden, an denen sie hingen.

Hier will ich einige Personen vorstellen, die unter anderem damit beschäftigt waren, die Tarnung aufrecht zu halten. Denn das war der Deal, dass von dem Zauber niemand erfahren durfte:
Das Chamäleon, das sich perfekt an die Umgebung anpassen konnte, sodass keiner es bemerkte
Die Gelehrte, die Gedankengebäude entwickelte, um alles was ihr begegnete, erfassen und erklären zu können.
Die Mitfühlende, die sich so weit in die Sphäre anderer Menschen hinein versetzen konnte, dass sie manchmal sogar den Kontakt zu sich selbst verlor.

Wie ich vermute, waren es diese Personen, die sich dann zusammen getan haben, um eine therapeutische Praxis zu gründen. Dort sind ihnen vor allem Menschen begegnet, die ähnlich verzaubert waren wie das kleine Mädchen. Nur dass ich, dieses Mädchen, vergleichsweise glücklich davon gekommen bin.

Mehr dazu: Trauma-Lösung

Duftbild: Narde